- sumerische Kunst: Die »Dame von Warka« - Meisterwerke der sumerischen Bildkunst
- sumerische Kunst: Die »Dame von Warka« - Meisterwerke der sumerischen BildkunstDie »Dame von Warka«, der Kopf einer weiblichen Statue aus Stein, gehört zweifellos zu den ansprechendsten Kunstwerken des Alten Orients. Mit ihren natürlichen Formen und Proportionen, die das Gesicht als Einheit (und nicht nur als der Summe der Details) behandeln, und mit ihrer ausdrucksstarken Ruhe steht diese annähernd lebensgroße Skulptur fast einzigartig da. Die Augen und Brauen waren ehemals aus farbigen Steinen eingelegt. Die Haare hafteten an einem Material, das mithilfe der erhaltenen Dübellöcher am Kopf befestigt war. Weitere Löcher in der hinter dem Gesicht abgeschnittenen Fläche dieser »Maske« legen eine Befestigung des Kopfes an einer Wand nahe, aus der das Gesicht frontal herausgeschaut hat, vermutlich über einem aus anderem Material gestalteten Körper.Die »Dame von Warka« wird häufig in die Uruk-Zeit datiert. Doch diese Zuschreibung fußt eigentlich nur auf dem Eindruck, der auf die hervorragend modellierten Rollsiegelbilder dieser Zeit zurückgeht. Denn auch der Kopf der »Dame von Warka« wurde wie fast alle anderen Kunstwerke, die wir dieser Zeit zuschreiben, im Schutt gefunden; er lag in einer Abfallgrube, deren Inhalt nur dadurch datiert werden konnte, dass sich über die Grube eine Schuttschicht hinwegzog, in der sich Schrifttafeln aus dem Ende der Schicht III fanden. Für die »Dame von Warka« sind daher alle Datierungen vor dem Ende der Schicht III möglich. Gleiches gilt für die »Kultvase«, die im »Schatzhaus« der letzten Unterstufe der Schicht III gefunden wurde, und für die »Löwenjagdstele«, die mit der Bildseite nach unten in einem Raum derselben Schicht lag. Einen noch größeren Spielraum bei der Datierung haben wir für den »Kleinen König«, der in damals bereits stark beschädigtem Zustand offenbar zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. gefunden und in einem Gefäß dieser Zeit beigesetzt wurde.Nur sehr unansehnliche Funde retten unsere Aussage, dass nach Jahrhunderten, aus denen uns lediglich kleine Terrakottafiguren bekannt sind, Großkunst erstmals in der Zeit der frühen städtischen Hochkultur hergestellt wurde. Im »Riemchengebäude«, das gegen Ende der Zeit der Schicht IV - vielleicht im Zusammenhang mit der groß angelegten baulichen Umstrukturierung von Eanna - errichtet wurde, waren ehemals bei der Ausübung des Kults verwendete Gegenstände »kultisch beerdigt« worden. Dort fanden sich auch Fragmente eines männlichen, fast lebensgroßen Kopfes aus Stein. Da die dort geborgenen Funde alle spätestens in die Zeit der Schicht IV datiert werden müssen, vermutlich aber noch älter sind, steht außer Zweifel, dass es großformatige Kunstwerke wie die oben genannten schon in der frühen Phase der städtischen Hochkultur gegeben hat. Im Falle der »Löwenjagdstele« und des »Kleinen Königs« wird dies im Übrigen untermauert durch die gleichartige Kleidung, Kopfbedeckung und Haartracht der Gestalt des Herrschers auf den Siegeln mit Gefangenenszenen; solche Siegel waren nur in oder unter der Schicht IV aufgetaucht.Der vollplastisch ausgeführte Oberkörper des »Kleinen Königs« stellt eine gute Ergänzung zur »Dame von Warka« dar, da hier dem formal ebenfalls ausgezeichnet gearbeiteten, aber weniger ausdrucksvollen Gesicht die Bearbeitung der Körperformen kongenial zur Seite tritt. Die Wiedergabe der Muskulatur der Arme und der oberen Rückenpartie lässt erkennen, dass auch hier nicht nur eine naturalistische Wiedergabe angestrebt wurde, sondern ebenfalls das Konzept des Ganzen - und keine bloße Summierung der Einzelteile - maßgeblich war. Umso erstaunter ist man beim Anblick eines kleinen abstrahierten Frauenkörpers ohne Kopf, der einigermaßen sicher der Zeit der frühen städtischen Hochkultur zugewiesen werden kann. Bei annähernder Einhaltung der Proportionen ist hier eine großartige Abstraktion erreicht. Die sparsame Andeutung des Rückgrats und der Trennlinie zwischen den Beinen bis zum Schamdreieck sowie der leicht schwingende Rücken sind Beweis genug, dass es sich bei dieser Figur um eine bewusste Abstraktion und nicht um das Ergebnis eines mangelhaften künstlerischen Könnens handelt.In keine dieser beiden Richtungen lassen sich die oben genannten Reliefs auf der »Löwenjagdstele« und der »Kultvase« einordnen. Diese gehören zwar unzweifelhaft eher zur naturalistischen Richtung, doch offenbar eignete sich die Kunstform des Reliefs nicht in gleicher Weise für naturalistische Darstellungen wie die Rundplastik. Beide Reliefs sind deswegen so interessant, weil sie erzählende Elemente enthalten, die bei den Rollsiegeln fehlten. So stellt die Stele den Herrscher in zwei Phasen der Löwenjagd dar: in der unteren Hälfte, wie er den Löwen mit Pfeil und Bogen verletzt und zum Kampf anstachelt, in der oberen Hälfte, wie er mit einer Lanze den Löwen erlegt. Die »Löwenjagdstele« ist damit das früheste Beispiel einer langen Reihe von Darstellungen, die durch die Abbildung verschiedener Phasen eines Geschehens einen Vorgang im Ganzen begreiflich zu machen suchen und den Hergang eines Ereignisses erzählen.Die »Kultvase« zeigt eine Prozession von hohen Würdenträgern und nachfolgenden Gabenbringern auf eine weibliche Person zu, die als Oberpriesterin oder gar als eine Göttin gelten kann; sie steht am Eingang eines Tempels, der durch sein Kultinventar wiedergegeben ist. Der inhaltliche Zusammenhang mit den zahlreichen Rollsiegeln, auf denen ebenfalls Prozessionsszenen zu sehen sind, ist augenfällig. Der Fries unter den Gabenbringern zeigt hintereinander herlaufende Tiere einer Schafherde; darunter findet sich ein Fries mit Pflanzen, die ihrerseits auf angedeutetem Wasser stehen. Bedeutsam ist dabei die unmissverständlich hierarchische Anordnung in aufsteigender Richtung: Wasser - Pflanzen - Tiere - rangniedere- und ranghöhere Menschen. Unterstrichen wird diese Rangfolge noch dadurch, dass in ebenfalls aufsteigender Richtung die Friese an Höhe zunehmen. Abgesehen davon, dass wir die Funktion dieses Steingefäßes als Kultvase dadurch bestimmen können, dass Gefäße genau der gleichen Form unter dem dargestellten Kultinventar zu finden sind, liegt die Hauptbedeutung dieser Vase darin dass sie bildlich die hierarchische Struktur der damaligen Gesellschaft veranschaulicht, die man auch aus den überlieferten Texten herauslesen kann.Die Gleichzeitigkeit dieser Kunststile verweist auf einen Grundzug der babylonischen Kultur, nämlich ihren dauernd vorandrängenden Charakter, der zum Teil auf äußere Herausforderungen, zum mindestens ebenso großen Teil aber auf innere Gegensätze in der Gesellschaft zurückzuführen ist. Die unmittelbar weitere Entwicklung lässt sich durch die verfügbaren Objekte leider nicht verfolgen. Diese müsste von besonderem Interesse sein, denn wenn für uns um 2700 v. Chr. wieder rundplastische Erzeugnisse greifbar werden, ist deren Stil ein völlig gewandelter; er steht weder mit dem naturalistischen, auf Ganzheit ausgerichteten noch mit dem abstrahierenden Stil in Verbindung. Vielmehr handelt es sich um Werke, die in der handwerklichen Bearbeitung erheblich unter den vorher genannten Funden stehen und die nun vom Detail her vorgehen: diese Statuen sind aus idealtypisch gesehenen Einzelteilen zusammengesetzt. Es wäre jedoch falsch, hierin einen künstlerischen Niedergang sehen zu wollen, da hinter diesen Werken ein völlig anderes, für die Forschung (noch) nicht erklärbares Konzept stehen muss. Erst die in der nachfolgenden frühdynastischen Zeit auftretenden stilistischen Veränderungen kommen scheinbar unserer »normalen« Vorstellung einer Entwicklung der Kunst entgegen. Die eckigen, parataktisch aufgebauten Figuren wurden nun weicher mit einer Tendenz, Proportionen und Einzelheiten naturalistischer zu gestalten. Schließlich kam es in der Zeit der Dynastie von Akkad wieder zu Statuen, die wohlproportioniert und in den Einzelheiten stark naturalistisch gegeben sind, wobei diese Details wieder dem Ganzen untergeordnet werden.Prof. Dr. Hans J. Nissen
Universal-Lexikon. 2012.